Fluggastrechte – eine unendliche Geschichte

Es war schon ein besonderer Fall, den ein Augsburger Rechtsanwalt schilderte. Nach einem verspäteten Start in Havanna waren er und seine Frau in Paris Charles de Gaulle gestrandet. Weil sie es nicht widerspruchslos hingenommen hatten, am noch offenen Gate in letzter Minute zurückgewiesen zu werden, wurden sie von einem der Air-France-Mitarbeiter auf die schwarze Liste gesetzt. Sie bekamen keinen Ersatzflug, an dem Tag nicht und – hätten sie in ihrer Verzweiflung nicht ein Business-Ticket gekauft – wären sie auch noch am nächsten Tag leer ausgegangen. So kamen sie wenigstens nach 37 Stunden Irrfahrt in München an. Der Anwalt  beschwerte sich bei der Airline und machte Ansprüche geltend, was nicht ganz einfach war. Erst nach einigem Hin und Her und mehrmaliger Ermahnung gab’s schließlich das Geld für das Business-Ticket, das Hotel und die Essenspauschale. 
So kann’s gehen, wenn einer eine (Flug)Reise tut. Dass dieser Fall zwar drastischer war als so mancher andere, aber keineswegs außergewöhnlich machte Rechtsanwalt Prof. Ronald Schmid, der der Luftverkehrsrecht und Reiserecht an den Universitäten Dresden und Darmstadt lehrt, in der Touristischen Runde klar.  

Mit dem Thema Fluggastrechte befasst sich der Rechtsexperte schon seit Jahren. Dabei hat er gelernt, die Taktik der Airlines zu durchschauen. Zwar regle die Fluggastrechteverordnung der EU von 2004 die Ansprüche der Passagiere. Aber die Airlines suchten immer wieder Mittel und Wege, um die Zahlungen zu vermeiden. Oft werde ganz einfach auf „außergewöhnliche Umstände“ verwiesen etwa wegen technischer Probleme, ärgert sich Schmid. „Dabei müssten es die Airlines und ihre Juristen besser wissen.“ Seit 2008 gebe es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das besagt: Technische Probleme sind keine Entlastungsgründe. 
Die Fluglinien, so die Erfahrung des Fachmanns, vertrauten darauf, dass die wenigsten Passagiere wirklich vor Gericht zögen. Nicht spezialisierte Anwälte hätten zudem Probleme mit der komplizierten, weil „dilettantisch gestrickten“ Fluggastrechteverordnung und der fast unüberschaubaren Fülle von Urteilen dazu. Hier könnte die Wiesbadener Tabelle helfen, die wesentliche Urteile zu Passagierrechten darstellt. Schmid hat sie zusammen mit einem Kollegen vor allem als Hilfe für Juristen erstellt. „Aber auch der Laie, der sich der juristischen Sprache nicht sperrt, kann im Internet (http://www.wiesbadener–tabelle.de) nachlesen, was Sache ist“. 
Als wichtigen Meilenstein sieht der Rechtsexperte das von ihm 2009 erstrittene Sturgeon-Urteil, das große Verspätungen mit einer Annullierung gleichsetzt. Der Europäische Gerichtshof hatte entschieden, dass die Ansprüche betroffener Passagiere mit jenen annullierter Flüge gleichzustellen seien. Die Richter folgten dabei Schmids Argumentation, dass eine Ungleichbehandlung gegen europäisches Recht verstoße. 
Allerdings steht zu befürchten, dass die Europäische Kommission diese Rechtssprechung verwässert. So sollen Entschädigungen von bis zu 600 Euro erst fällig werden, wenn die Verspätungen bei Flügen von bis zu 1500 Kilometern mehr als fünf Stunden, bei Verbindungen von bis zu 3500 Kilometern mehr als neun Stunden betragen. Bei noch weiteren Flügen müssen gar zwölf statt der bisher stets üblichen drei Stunden Verspätung hingenommen werden. „Das hat mit Verbesserungen nichts zu tun“, schimpft Ronald Schmid. Er argwöhnt, dass die EU „in Summe der finanziellen Belastung der Fluglinien Rechnung tragen will“. 
Das sieht auch Andreas Sernetz so. Der Betriebswirt und Gründer der Service-Plattform fairplane (http://www.fairplane.de)geht davon aus, dass die Airlines von den geplanten Änderungen der Fluggastrechteverordnung profitieren. „Es wird billiger für die Fluglinien.“ fairplane stelle sich dagegen auf die Seite der Passagiere. Sie sollen über die Plattform ihre Rechte durchsetzen. Dazu müssen sie Flugnummer und Flugdaten eingeben. Bei Aussicht auf Erfolg etwa, wenn die Betreuungsleistung nicht eingehalten oder keine Ersatzbeförderung gestellt wurde, übergibt fairplane den Fall an Fachanwälte – auch Prof. Ronald Schmid und seine Kollegen gehören dazu. So werde der Kunde vom Arbeitsaufwand entlastet, zudem übernehme fairplane das Kostenrisiko und bittet den Kunden bei Erfolglosigkeit nicht zur Kasse. Bekommt er Recht, kassiert fairplane 24,5 Prozent des erstrittenen Betrags plus Mehrwertsteuer. Das Modell scheint sich herumgesprochen zu haben. 17 000 Akten würden derzeit bei fairplane bearbeitet, sagt Andreas Sernetz und stellt nach zwei Jahren fairplane-Erfahrung zufrieden fest: „Wir sind ein Stachel im Fleisch der Airlines“. 
Wie Prof. Ronald Schmid versucht auch fairplane durch Urteile mehr Klarheit zu erreichen. Allerdings hat Schmid die Erfahrung gemacht, dass die Airlines strittige Fälle lieber auf dem Kulanzweg regeln und damit ein Urteil umgehen. Dass für ein und denselben Flug die unterschiedlichsten Einzelurteile ergehen können, wundert den Juristen nicht. Hat er doch in langen Jahren festgestellt, dass manche Gerichte mehr die Rechte der Passagiere im Auge haben, während andere eher den Argumenten der Fluglinien zugeneigt sind. 
Wann aber sollte sich an Passagier an fairplane oder einen Fachanwalt wenden? fairplane übernehme nur, wenn die Ausgleichsleistung strittig ist, stellt Andreas Sernetz klar. „Das ist der Zankapfel“. Geht es um Betreuungsleistungen, die meist anstandslos von den Airlines beglichen würden, müsse sich der Passagier selbst kümmern. „Dazu muss man kein Jurist sein“, assistiert Ronald Schmid. Wichtig sei aber, dass der Anspruch „erkennbar geltend gemacht“ werde.
Im eingangs zitierten Fall würde Andreas Sernetz zu einer Klage raten. Was aber braucht ein Fluggast, der klagen will? Auf jeden Fall die Buchungsbestätigung, eine Bescheinigung der Verspätung und das Schreiben an die Airline, mit dem er seine Ansprüche klar legt und die Antwort darauf.
Und was bringt die Schlichtungsstelle, die der Bundestag beschlossen hat? Zuständig sein wird sie erst für Ansprüche, die ab 1. November dieses Jahres entstehen. Außerdem müssen auch hier die Passagiere zunächst ihre Ansprüche bei der Airline geltend machen. Nur wenn die Fluglinie nicht innerhalb von zwei Monaten reagiert, können die Fluggäste die Schlichtungsstelle einschalten. Für Ansprüche unter zehn und über 5000 Euro ist die Schlichtungsstelle nicht zuständig. Andreas Sernetz begrüßt die Einrichtung einer solchen Stelle „an und für sich“, fürchtet aber, dass vor allem Kompromisse zu erwarten sind. „Dann würde ich einem Mandanten nicht raten dorthin zu gehen.“ Ähnlich wie Prof. Schmid sieht Sernetz die Gefahr, dass wegweisende Urteile nicht mehr stattfinden, weil der Schritt zum Bundesgerichtshof oder zum Europäischen Gerichtshof bei Schlichtungsverfahren nicht möglich ist. Ohne solche klarstellenden Grundsatzurteile, die auch, wie Schmid deutlich machte, für Schlichtungsverfahren wichtig sind, blieben die Bemühungen um mehr Rechtssicherheit für Fluggäste „ein Stochern im Nebel“. 
Aktuelles Beispiel: 
Die EU-Fluggastrechteverordnung (EG-VO Nr. 261/2004) regelt in § 5 und § 7, dass Fluggäste bei Flugannullierungen Ansprüche auf Ausgleichszahlungen  haben. Ausnahme: Kann die Fluggesellschaft nachweisen, dass der Flugausfall durch „außergewöhnliche Umstände“ verursacht wurde, muss sie nicht zahlen. Es muss sich dabei um Ereignisse handeln, die sich selbst dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Der Fall: Ein Paar hatte einen Hin- und Rückflug nach Miami gebucht. Die Pilotenvereinigung Cockpit kündigte für den Zeitraum des Rückfluges einen Streik an. Die Fluggesellschaft annullierte den Rückflug und buchte die Reisenden auf einen späteren Flug um. Das Paar kam mit drei Tagen Verspätung zurück und forderte von der Airline Ausgleichszahlungen. Der Bundesgerichtshof nahm „außergewöhnliche Umstände“ an, die außerhalb der normalen Abläufe lägen und verweigerte die Zahlung.  Prof. Schmid: "Ausdrücklich hatte der BGH den Nachweis verlangt, dass ie EU-Fluggastrechteverordnung (EG-VO Nr. 261/2004) regelt in § 5 und § 7, dass Fluggäste bei Flugannullierungen Ansprüche auf Ausgleichszahlungen  haben. Ausnahme: Kann die Fluggesellschaft nachweisen, dass der Flugausfall durch „außergewöhnliche Umstände“ verursacht wurde, muss sie nicht zahlen. Es muss sich dabei um Ereignisse handeln, die sich selbst dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Der Fall: Ein Paar hatte einen Hin- und Rückflug nach Miami gebucht. Die Pilotenvereinigung Cockpit kündigte für den Zeitraum des Rückfluges einen Streik an. Die Fluggesellschaft annullierte den Rückflug und buchte die Reisenden auf einen späteren Flug um. Das Paar kam mit drei Tagen Verspätung zurück und forderte von der Airline Ausgleichszahlungen. Der Bundesgerichtshof nahm „außergewöhnliche Umstände“ an, die außerhalb der normalen Abläufe lägen und verweigerte die Ausgleichszahlung.  Prof. Schmid: "Ausdrücklich hatte der BGH den Nachweis verlangt, dass das Luftfahrtunternehmen alles notwendige getan hat um die Auswirkungen des Streiks zu vermeiden oder wenigstens dessen Auswirkungen so gering wir möglich zu halten." Die Richter kamen zu dem Urteil, dass "außergewöhnliche Umstände" vorgelegen hätten, weil die Fluggesellschaft keinen Einfluss darauf gehabt habe, ob und wann ihre Piloten streiken würden   Die Richter kamen zu dem Urteil, dass "außergewöhnliche Umstände" vorgelegen hätten, weil die Fluggesellschaft keinen Einfluss darauf gehabt habe, ob und wann ihre Piloten streiken würden Ob die Annullierung im konkreten Fall auch bei Anwendung aller zumutbaren Maßnahmen unvermeidlich gewesen wäre, müsse die Vorinstanz klären. Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.08.2012, Az. X ZR 138/11 
2 Kommentare
  • Susi
    Juni 12, 2013

    Interessanter Artikel! Bei Flügen ist das wie bei der Bahn. Alles durcheinander und alles ist so undurchschaubar für den Reisenden :/

  • Heinz
    September 20, 2013

    Cooler Artikel, Susi hat schon Recht, was das Fliegen angeht. Geld sollte man auf die vorgegebenen Flugpläne nicht setzen. Aber solange man am Ende heile ankommt ist die welt doch in Ordnung. LG Heinz

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